Ort der Entspannung und des Rückzugs

Rückzugs- bzw. Besinnungsorte

In der Ferne

Viele Menschen sparen das ganze Jahr, um einmal richtig in den Urlaub zu fahren. Manche, um was Neues zu erleben oder aktiv tätig zu werden. Und andere für die Zeit, in der sie sich dort befinden, wo sie sich am wohlsten fühlen. Weg von der Arbeit, weg vom Stress und vor alles raus aus dem täglichen Kreisverkehr. Ruhe und Abstand suchen, um Kraft zu tanken.

Bei mir war es immer die Nordsee, die die nötige Entspannung und zugleich Energie für den alltäglichen Wahnsinn zu Hause brachte. Oben im Norden ist alles schöner. Die Natur, die Atmosphäre und die Menschen. Auf der Fähre fing die Entspannung an. Und nur dort. Dachte ich.

Spontanität?

Aber was ist dann, wenn man man zwischendurch die Auszeit benötigt? Wenn man einfach mal ganz spontan ein paar Stunden, Minuten oder Sekunden zum Nachdenken benötigt. Dann, wenn einem etwas unmittelbar auf dem Herzen liegt? Oder – so wie jetzt dank Corona – wenn der Ort der Entschleunigung schier unerreichbar ist, da Reisen dorthin verboten sind?

Verschlafener Ort beim Sonnenaufgang

Dann muss der persönliche Lieblingsort eben zu Hause gefunden werden. Optimalerweise schnell erreichbar und dem persönlichen Wohlfühlfaktor entsprechend. Und eben diesen solchen habe ich am vergangenen Ostersonntag für mich gefunden. Und das absolut Corona-resistent, da jederzeit verfügbar.

Bekannt, aber nicht bewusst

In der Nähe meines Dorfes steht eine Bank. Unscheinbar auf einer kleinen Anhöhe, liebevoll in Schotter gesetzt und auf unseren kleinen Ort ausgerichtet. Sie ist aus braunem „echten“ Holz gefertigt und für die Unendlichkeit gebaut. Zwischen ein paar Bäumen und Büschen eingebettet, lädt sie den Vorbeireisenden zum kurzen Verweilen ein. Eine halt so wie viele andere hier im Umkreis. Und doch besonders.

Unscheinbar und nicht gewürdigt – Holzbank am Wegesrand

Wie oft bin ich da schon mit dem Rad vorbeigefahren oder vorbeigejoggt. Sie fiel zwar beim Vorbeiwandern auf. Aber das nicht so, als dass man den unmittelbaren Drang verspürte, sich unbedingt daraufsetzen zu müssen. Das ging anderen Spaziergängern wohl auch so. Denn bei unseren zahlreichen Begegnungen stand sie immer alleine und unbesetzt da. Wie ein kleines Mauerblümchen.

Auferstehung

Es gibt Feiertage, mit denen verknüpft man Traditionen. Größere wie pompöse Feiern und Ausflüge. Und kleinere sowie liebgewonnene Gewohnheiten oder Marotten, die einfach so da sind. Und die man an diesen Tagen aufleben lässt.

Im letzten Jahr 2019 war der Ostermontag für mich ein Tag des Aufbruchs. Denn an diesem Tag hatte ich meinen allerersten Blog geschrieben. Inspiriert durch etwas eher Alltägliches. Frühmorgens aufgewacht, entschloss ich mich spontan zu einem morgendlichen Spaziergang durch die erwachende Natur. Und dieser fand so viele Eindrücke, dass ich diese auf Papier festhalten musste. Für alle zugänglich. Ihr findet diesen Beitrag unter „Die besondere Ostertour„.

Tagesanbruch zwischen Vogelsberg und Rhön

In diesem Jahr 2020 war die Osterzeit von „sozialer Distanz“ geprägt. Ungewollt und vom Staat verordnet. Wegen Corona. Denn Distanz heißt Risikominimierung bei großer Ansteckungsgefahr. Und so waren Schulen, Kirchen, Sportstätten und andere Orte, die Begegnungen brachten, geschlossen.

Es war sogar verboten, sich außerhalb des Familienbereichs mit mehr als einer Person im freien Raum (also draußen im Freien) zu sein. Da bot es sich an, wieder einmal einen frühmorgendlichen Spaziergang durch die Felder, Wälder und Wiesen meines Ortes zu starten.

Aufbruch

Gesagt, getan. Morgens um halb sieben startete ich meine Ostertour. Anfangs durch das noch tief schlummernde Örtchen, dann über die komplett verlassenen Feldwege. Von fröhlichem Vogelgezwitscher begleitet ging ich meine geplante Runde an.

Der Ostersonntag des Jahres 2020 versprach ein besonders schöner zu werden. Keine Wolke am Himmel und angenehme Temperaturen, die später auch viele Mitmenschen zum Rausgehen verleiten sollten. Dazu war der Frühling auf dem Vormarsch. Überall blühte es, das Gras war saftig grün und überall roch es nach Natur. Manchmal dank unserer Landwirte dezent mit Fäkalien durchsetzt, aber zumeist sehr wohltuend.

Nach knapp drei Kilometer führte mich mein Weg an der oben genannten Bank vorbei. Die ersten Sonnenstrahlen des Tages fielen gerade auf die Anhöhe und streckten sanft ihre warmen Strahlen auf die Holzauflage aus. Die Bäume ringsum standen in voller Blüte und gerade hier an der Stelle hörte sich das Singen der Vögel noch schöner an als auf meinem bisherigen Weg.

Verharren

Ich hielt kurz inne, um nach dem leichten Aufstieg ein wenig zu verschnaufen und den Augenblick zu genießen. Und ohne groß nachzudenken, saß ich plötzlich auf der Bank.

Eine von vielen – aber auch eine ganz besondere.

Vor mir der sanft den Abhang heruntergleitende, saftig grüne Rasen. Dazu die aufgehende Sonne, die in diesem Moment genau auf meinen Sitzplatz strahlte und auch die Bäume und Büsche in ihre Magie einbezog. Im Hintergrund die zahlreichen Windräder, die anmutig im Sonnenlicht schimmerten und ihre gewohnten Runden drehten. Und überall ringsum frisch bewirtschaftete Felder sowie in der Ferne der kleine, verschlafene Ort, der noch im Schatten getaucht war.

Und diese ergreifende Ruhe. Einzig das ganz leichte Rauschen der Windräder war permanent zu vernehmen. Ich hielt inne und nahm die Situation auf.

Rings um mich herum fröhliches Vogelgezwitscher. Beim genaueren Hinhören konnte ich nach kurzer Zeit die zahlreichen Vogelstimmen den Bäumen und Büschen zuordnen, in der deren Musikanten saßen. Und das waren nicht wenige. Dazu das zärtliche Gurren einer einsamen Eule. Abgerundet durch einen schon früh aktiven Specht, der im Hintergrund irgendwo seinen ersten Baum bearbeitete. In seinem einzigartigen Zusammenspiel ein tolles Morgenkonzert.

Verschlafen

Und auch unten im Dörfchen tat sich was. Der erste Hahn war aufgewacht. Mitten im Dorf machte er sich auf, ohne Unterlass in das Morgenkonzert einzustimmen. Immer im gleichen Rhythmus erfolgte das Hahnenkrähen. Aus meiner Perspektive nicht aufdringlich und sich so elegant in das Morgenorchester einreihend. Und dann plötzlich das erste Hundebellen. Klar, frisch aufgewacht, musste auch dieser seinen Tag begrüßen.

Und als wäre dies ein Startsignal gewesen, meldeten sich die ersten Kühe zu Wort. Verständlich, denn diese standen voll im Saft und wollten dringend gemolken werden. Was sie auch vehement zum Ausdruck brachten. Immer mehr Kühe stimmten in das Konzert mit ein und es schien gehört zu werden. Nach kurzer Zeit konnte man das sanfte Brummen der ersten Melkmaschinen wahrnehmen.

Und das ganze Spektakel perfekt inszeniert für meine Sitzposition auf der braunen Echtholzbank. In der Sonne sitzend, gut und warm eingepackt und von der Magie des Moments in seinen Bann gezogen. Wunderschön.

Die Zeit ging so dahin und mit jeder Minute, die ich hier saß, fiel alle Anspannung von mir ab. Alles, was mich bewegte, wurde immer weniger belastend und wichtig. Eine innere Ruhe breitete sich aus und durchfloss meine Gedanken. Vereint mit der Natur bemerkte ich nicht, wie die Zeit dahinflog. Es war in diesen Minuten ja auch zu schön, um an Zwänge, Verpflichtungen oder etwas anderes als diesen besonderen Augenblick zu denken.

Geschäftig

Nach einer dreiviertel Stunde meines Verharrens war der kleine Ort schließlich auch im Tag angekommen. Überall summte und brummte es. Die Hunde machten sich aus allen Ecken des Ortes bemerkbar und inmitten allem der noch immer mutig schreiende Hahn, der sich vermutlich wohl auch den ganzen Tag weiter bemerkbar machen wird. Dazu immer wieder mal ein kurzes Brüllen der Kühe.

Und ich sah meine erste Hummel des Jahres. Das typische Brummen hatte sie deutlich und markant angekündigt und einen Moment später zeigte sie sich. Wie sie in aller Frühe schon geschäftig von Blüte zu Blüte flog und fleißig ihr Tagewerk aufnahm.

Die ersten Autos und Trecker machten sich im Ort und auf den Straßen ringsum auf den Weg und die ersten Lichtstrahlen hatten schließlich auch die Häuser in der Senke erreicht. Der Tag war nun endlich erwacht.

Der Tag ist angebrochen.

Als ich dann den ersten Flieger mit seinem Konsensstreifen am Himmel vorbeiziehen sah, machte ich mich auf den Weg nach Hause.

Aber nicht, ohne mir vorher fest vorzunehmen, wiederzukommen. Zu diesem magischen Ort, der Bank aus echtem Holz. So oft es geht.

Vorsatz

Was mir so beim Heimschlendern in den Sinn kam: Dies ist auch der perfekteste Ort, den man sich für einen Jahresanfang vorstellen könnte. Etwas fernab vom Trubel das Treiben zum Neujahrsanfang beobachten, das Feuerwerk bewundern und damit tief entspannt das Jahr zu beginnen. Zweiter Vorsatz an diesem Tag: Sofern das Wetter es zulässt, den Jahreswechsel am 31.12. an diese Stelle hochzulaufen. Und mich genauso wie heute auf diese Bank zu setzen und das folgende Jahr auf diese Weise auf bestmöglichem Wege zu beginnen.

Der perfekte Rückzugsort

Mein Ort der Idylle.

Jedes Lebewesen braucht seinen persönlichen Rückzugsort, seine Besinnungsoase. Den Ort, an dem es alleine mit sich selbst ist und zu sich selbst finden kann. Der Ort zum Lösen von Problemen, zur Entspannung und zur Besinnung. Also dort, wo man sich aufgehoben fühlt und wo man einfach mal den Kopf abschalten kann.

An diesem Ostersonntag habe ich meinen Rückzugsort, meine Sorgenbank, mein Fleckchen der Besinnung gefunden. Die drei Kilometer Fußweg bis dorthin machen den Kopf frei und lassen die Gedanken etwas strukturieren. Dort nach etwas körperliche Anstrengung angekommen, sind die Dinge, die einen beschäftigen, gleich sortierter und bereit zur Bewältigung. Oder man selbst bereit für die Entspannung und Besinnung.

 

 

Appell

Wer gerne Gedanken in sich hineinfrisst, stundenlang darüber grübelt und sich dann leider öfters tief in deren Sog gezogen fühlt, findet an seinem Rückzugsort seinen positiven Gedanken, seine Lösung. Der Ort sollte natürlich nach eigenem Gusto her- bzw. angerichtet und zwar mit, aber ohne übermäßige Anstrengung erreichbar sein.

In meinem Fall fand sich ein Ort in der Natur. Alle Sinne werden dort angesprochen, man kann dort seine Gedanken öffnen und diesen freien Lauf lassen. Der perfekte Rückzugsort.

Ich bin mir sicher, auch du hast deinen perfekten Ort der Besinnung. Selbst hergerichtet oder einfach nur wie ich „gefunden“. Optimalerweise ein wenig weg vom Schuss und damit auch mit etwas Aufwand erreichbar. Aber egal wo – er steht dir immer zur Verfügung und hilft dir, die kleinen oder größeren Stolpersteine des Lebens zu bewältigen.

Und oft ist er näher als man denkt…

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