Fußballfieber in Corona-Zeiten – Pro und Contra der Wiederaufnahme der Bundesliga
Profifußball in Corona-Zeiten
Sinnvoll oder sinnfrei?
Einleitung
Gestern Nachmittag, also am Samstag zwischen 15 und 17 Uhr, schaltete ich aus Gewohnheit meinen Lieblingssender im Radio an. Lieblingssender aufgrund der aktuellen und neutralen Reportagen und tollen Musik. Gewohnheit, da ich dies eigentlich samstags um diese Zeit immer mache – denn es ist Fußballzeit.
Zumindest war es das bis vor 2 Monaten. Seitdem ist alles anders. Denn Corona veränderte die Welt. Nichts ist mehr so, wie es vorher war. Wir gehen mittlerweile nicht mehr ohne Mund- und Nasenschutz aus dem Haus. Und lieb gewonnene Freunde und Bekannte kennen wir eher nur von der Stimme her, denn es herrscht striktes Kontaktverbot. Nicht nur in Deutschland, sondern auf der ganzen Welt.
Jetzt, Anfang Mai, haben wir die erste Welle an Infektionen hinter uns und die Geschäfte dürfen unter Auflagen wieder öffnen. Fragt sich halt nur, wer Lust verspürt, hinter einer Mund-/Nasenschutzmaske durch die Geschäfte zu schlendern. Denn nach wie vor gelten strikte Regeln, die für viele unverständlich teilweise erst jetzt in Kraft getreten sind. Allerdings weiß auch keiner, was noch kommen wird. Wann die zweite Welle anrollt. Ob sie anrollt. Und deshalb diese Restriktionen. Wer sich nicht an das Kontaktver- und Mundschutzgebot hält, wird unbarmherzig daran erinnert. Unbelehrbare zahlen Strafen.
Geliebter Fußball
Als ehemaliger Hobby-Fußballspieler bin ich mit dem Runden, das ins Eckige soll, groß geworden. Schon als kleiner Bub war ich fast jeden Tag auf dem Bolzplatz und jagte mit meinen Freunden dem Ball hinterher. Und träumte von einer Fußballerkarriere. Aus der Kariere wurde mangels Talents nichts. Aber mit meinem Lieblingsverein, dem ich schon früh die Treue hielt, fiebere ich auch heute noch mit. Am liebsten an den Samstagnachmittagen in der Bundesligakonferenz am Radio. Dies war und ist eines meiner Highlights, die ich bis heute immer wieder aufs Neue genieße.
Doch seit Anfang März ist alles anderes. Mein Radio spielt keinen Fußball mehr. Kontaktsport ist nicht mehr erlaubt. Folglich auch keine Bundesligaspiele und in deren Konsequenz auch keine Bundesligakonferenz. Die Samstage sind irgendwie richtig leer und trostlos geworden.
Entscheidung der Hoffnung
Doch dies soll sich jetzt ändern. Die Bundesligen können ab dem 16. Mai fortgesetzt werden. Die Regierung, die Landeschefs und die Deutsche Fußballliga haben grünes Licht gegeben und Samstag soll der Ball wieder rollen. Endlich. Das natürlich nur unter strengen Auflagen. Mundschutz der Trainer, der nur beim Reinrufen abgenommen werden darf (wer hat sich das nur ausgedacht?), viele Corona-Tests der Spieler, Kontaktverbote (nur abgeschottet während der Restsaison) und das Wort „Geisterspiele“ hat auch seinen Einzug in den täglichen Sprachgebrauch genommen.
Es gab über diese Entscheidung lange Diskussionen im Vorfeld. Hierbei waren die Tests, die Sicherheit und auch die Verhältnismäßigkeit Ausdruck der Debatte. Und eben darum ging es am vergangenen Samstag, als ich mein Gewohnheitsradio eingeschaltet hatte. Kein Fußball, dafür Diskussionen, ob das nun richtig sei oder nicht.
Höhrer konnten in der Radiosendung ihre eigene Meinung vorbringen und diese wurde direkt öffentlich gemacht. Oft musste ich den Kopf schütteln, konnte mich aber auch mit unliebsamen, weil bislang verdrängten, Fragen beschäftigen.
Und genau hierum geht es in meinem Beitrag. Dies ist der Versuch, das Ganze nüchtern und aus Sicht eines normalen, sich ein wenig nach Fußball sehnenden, Menschen geschrieben.
Pro und Contra Bundesligafußball zu Corona-Zeiten
Contra Bundesliganeustart Mitte Mai
Hauptpunkt der Kritik gegen den Neustart war in der besagten Radiosendung immer wieder, dass die Spielplätze und Sportstätten geschlossen bleiben und die ausgesperrten Kinder und Sportler sich fragen, warum die Profi-Fußballer dürfen und sie nicht. Die Vorbildfunktion der superreichen, verwöhnten Profis schlage hier voll negativ durch. Überall werde auf Abstand gedrängt und der kontaktgeprägte Fußball laufe dennoch. Das sei nicht richtig.
Aktuell sind viele Angestellte und Arbeiter von Kurzarbeit betroffen. Die Folge sind wirtschaftliche Einbußen und existenzielle Nöte. Unternehmen sind ebenfalls trotz umfangreicher staatlicher Eingriffe in ihrem Fortbestehen bedroht. Vielen ist in dieser Situation die Sonderstellung der Profifußballer, die eh viel zu viel verdienen, ein Dorn im Auge.
Ein weiteres Argument war, dass in Deutschland die Corona-Tests knapp seien und für so etwas Nichtiges wie Profisport Kapazitäten verbraucht werden würden, die anderswo besser genutzt werden könnten.
Ein Hörer, der sich mit dem Thema intensiver beschäftigte, fragte, wie das denn gehen könne: Alle Spieler nebst Betreuern mehrere Monate in Quarantäne. Was ist mit den Schiedsrichtern? Und ohne gemeinsamen Jubel und Zuschauer sei das Ganze ja eh viel zu langweilig.
Immer wieder vorgebracht wurde der Punkt, dass man bei alledem ein großes Risiko eingehe, da die Ansteckungsgefahr beim Kontaktsport immens sei. Man sehe auch schon bei einzelnen Spielern, wie (nicht) ernst sie die Lage sehen. Man erinnere sich nur an den Berliner Spieler, der seine Haltung und Einstellung gerade in den Medien publik gemacht hatte. Abklatschen, fehlender Abstand und keine Desinfektion wurden von ihm perfekt in Szene gesetzt.
Aktuell sind Spieler eines Zweitligisten positiv getestet worden. Die Folge sind zwei Wochen Quarantäne. Das heißt, zwei Wochen keine Spiele, kein Training, kein persönlicher Kontakt zueinander, was gravierende Wettbewerbsnachteile bringe. Dies kann natürlich auch in anderen Vereinen auftreten, deren Existenz dann ebenfalls bedroht sei. Vielen fehlt hier das Fingerspitzengefühl der Verantwortlichen.
Aber es gibt auch Punkte für den Bundesliganeustart Mitte Mai
Seit dieser Woche sind alle Geschäfte wieder geöffnet. Unternehmen fahren ihre Produktion hoch. Die Wirtschaft kommt langsam wieder ins Laufen. Dies allerdings immer unter der Prämisse, dass die Abstandsregeln einhaltbar und die Desinfektionsmaßnahmen durchsetzbar gemacht werden. Und dann auch konsequent eingehalten werden. Auch Fußballvereine sind Wirtschaftsbetriebe, deren Existenz auf dem Spiel steht. Um ihren Umsatz zu generieren, müssen Fernsehgelder fließen, also Spiele stattfinden. Und das Corona-gerecht. Mit dem Konzept der Deutschen Fußballiga ist dies möglich und man sollte deshalb auch hier einen Start wagen.
Die oben unter „Contra“ aufgeführte Versorgung mit medizinischen Kapazitäten ist laut weitläufiger Meinung nicht gefährdet. Die benötigten Mengen sind so gering, dass sie nicht zu einem Engpass bzw. Einschränkung der Versorgungslage beitragen
Viele Hörer der Radiosendung argumentierten, dass in der aktuellen Corona-Depression der Sport eine Gelegenheit ist, etwas „Normalität“ zurückzubringen. Alte Gewohnheiten, die man schweren Herzens ablegen musste, kommen auf diesem Wege wieder. Es gäbe Ablenkung zum seit Wochen praktizierten Schwermut, Panik, Existenzängsten. Auch wenn die Spiele ohne Zuschauer und unter anderen Voraussetzungen stattfinden werden.
Kritische Würdigung der Vor- und Nachteile
Wer sich die oben genannten Punkte anschaut, wird feststellen, dass das Contra deutlich überwiegt.
Natürlich sind all diese Punkte nicht von der Hand zu weisen. 650 Personen bekommen eine Sonderrolle, während Millionen andere Sportler, zu denen auch ich mich zähle, außen vor bleiben müssen.
Gravierendster Punkt ist das Ansteckungsrisiko, das auch trotz engmaschiger Tests nicht komplett ausgeschlossen werden kann. Auch ist der Worst Case für die Vereine, nämlich, wenn sie einen positiv getesteten Spieler in ihren Reihen haben und in Quarantäne müssen, nicht von der Hand zu weisen.
Aber…
Mit Aufnahme der Spiele nehmen wir gefühlt wieder etwas mehr am Leben teil. Wir fiebern wieder mit. Wir sehen Licht am Ende des Tunnels. In dem Tunnel, in dem uns Corona wochenlang das Licht geraubt hat.
Wir kommen wieder auf unsere Gewohnheiten zurück. In den knapp zwei Stunden steht nicht mehr das Risiko im Mittelpunkt. Wir denken nicht an Gesichtsmasken, Desinfektion und stellen uns nicht die Frage, ob der Gegenüber vielleicht doch schon infiziert sei und man lieber noch ein bisschen mehr auf Abstand gehe.
Nein, wir werden sicherlich nicht unvorsichtig werden. Aber für diese knapp zwei Stunden zu Hause am Radio oder am Fernsehen tauchen wir in unsere Welt ein. Wir haben an jedem Wort des Reporters hängen. Wir erleben wieder etwas Freude und wir jubeln (alleine oder im Familienkreis) bei jeder guten Nachricht. Und wir leiden wieder zusammen. Mit Millionen anderen Menschen am Radio. Es gibt wieder Emotionen. Emotionen, die uns die letzten Wochen gefehlt haben. Und diese Emotionen sind das Salz in der Suppe. Raus aus dem Korsett. Freud und Leid für den Moment erleben und Normalität genießen .
Auch wenn ich nicht mit anderen gemeinsam spielen, sondern „nur“ ein kleines Stückchen näher an meine sportliche Liebe heranrücken kann. Auf jeden Fall freue ich mich tierisch darauf, nächsten Samstag ab 15 Uhr wieder mein Radio anzudrehen.
Und genau deshalb finde ich die Entscheidung richtig, die Spiele wieder beginnen zu lassen. Allen Unkenrufen zum Trotz!
Nachtrag am 28.06.2020
Die Saison ist nun gespielt. Und entgegen aller Unkenrufen lief alles bis zum Ende ohne Zwischenfälle. Paderborn, Düsseldorf sind abgestiegen, Bremen muss nachsitzen und Bayern ist wieder mal Meister geworden.
Man kann rückblickend feststellen, dass die DFL alles richtig gemacht hat. Dank den Geisterspielen konnten Vereine, die auf der Corona-Kippe standen, gerettet werden, denn es floss Geld in ausreichendem Maße. Das Hygienekonzept der DFL hat funktioniert und viele andere Ligen Europas schauen nun neidisch auf die Bundesliga, die dieses Experiment als erstes gewagt und erfolgreich praktiziert hatte.
Die Konsequenz? Klar, Geisterspiele sind anders. Keine Fans, folglich auch keine Stimmung in den Stadien. Einzig die Zwischenrufe der Trainer waren in den Übertragungen zu hören. Zahlenmäßig zeigte sich dies in einer deutlich höheren Punktausbeute der Auswärtsteams. Aber das war ja auch im Vorfeld zu erwarten.
Und die Zuschauer? Der Fußballbegeisterte brauchte etwas Zeit, sich an das Neue zu gewöhnen. Aber auch das ging. Die Spiele waren durchgehend sehr ansehnlich und es kam in der Tat – abgesehen vom Meisterschaftskampf – Spannung auf.
Im September wird die neue Saison 2020/2021 starten. Aber es wird kein Neustart wie im letzten Jahr werden. Corona ist nach wie vor da und wird es auch bleiben. Das macht sich auch auf dem Transfermarkt bemerkbar. Nur wenige werden in der Lage sein, größere Summen auszugeben. Und auch die Bilder aus den Stadien werden den letzten ähneln. Vielleicht mit ein paar handverlesenen Zuschauern gespickt. Aber in Konsequenz wird das Unwort des Jahres „Geisterspiele“ weiter durch die Stadien schweben.
Keine schönen Aussichten. Aber egal – ich freue mich trotzdem!!!